Das Paper der Open Knowledge Foundation Deutschland von Dr. Henriette Litta und Peter Bihr mit dem Titel „Openness in a changing world: From Software to Society“ wirft einen kritischen Blick auf den aktuellen Zustand digitaler Offenheit. Die zentrale These: Openness hat zwar einen bemerkenswerten Siegeszug hingelegt und ist längst zum Mainstream geworden, befindet sich aber gleichzeitig in einer Art Midlife-Crisis. Die Begriffe „Open Source“, „Open Data“ oder „Open Government“ sind aus der digitalen Welt nicht mehr wegzudenken. Doch wie steht es eigentlich um das Konzept der „Openness“ in einer Zeit, in der Künstliche Intelligenz die Spielregeln verändert und Tech-Monopole immer mächtiger werden?
4 Herausforderungen, 3 Szenarien und 5 Empfehlungen
Die Autor*innen identifizieren vier zentrale Herausforderungen:
Begriffliche Verwirrung: Der Begriff „Open“ wird heute so vielfältig verwendet, dass seine ursprüngliche Bedeutung verschwimmt. Von OpenAI (das ironischerweise gar nicht so offen ist) bis hin zu verschiedensten „Open XYZ“-Initiativen – oft fehlt eine klare Definition dessen, was eigentlich gemeint ist.
Marktkonzentration: Ausgerechnet die Tech-Giganten, die ursprünglich von offenen Standards und Open-Source-Software profitierten, schaffen heute geschlossene „Walled Gardens“ und konzentrieren Macht in wenigen Händen.
Geopolitische Dimensionen: In einer zunehmend multipolaren Welt wird Openness zum Spielball geopolitischer Interessen. Digitale Souveränität und Sicherheitsbedenken stehen oft im Konflikt mit offenen Prinzipien.
Unbeabsichtigte Konsequenzen: Das ursprünglich gut gemeinte Teilen von Daten und Inhalten führt heute teilweise zu problematischen Entwicklungen – etwa wenn offen geteilte Fotos zum Training von Gesichtserkennungssystemen missbraucht werden.
Die Autor*innen entwickelt drei mögliche Zukunftsszenarien: I. „Go with the flow“: Weitermachen wie bisher und die natürliche Entwicklung abwarten II: „Pure Version of Open“: Rückbesinnung auf technische und rechtliche Kernaspekte II: „Towards a new purpose“: Openness mit einem klaren gesellschaftlichen Zweck verknüpfen. Die Autor*innen plädieren für den dritten Weg und argumentieren für eine zweckorientierte Neuausrichtung von Openness.
Daraus leiten sie fünf zentrale Handlungsempfehlungen ab:
- Openness einen Zweck geben: Das Konzept sollte kontextualisiert und mit relevanten Zielen wie öffentlichem Interesse oder sozialer Gerechtigkeit verknüpft werden.
- Schutzmaßnahmen implementieren: Neue Lizenzmodelle und „Share-back“-Mechanismen sollen Missbrauch verhindern und ein gesundes Ökosystem gewährleisten.
- Investitionen in offene Innovation: Eine missionsgetriebene Finanzierungsstrategie ist notwendig, um langfristige gesellschaftliche Ziele zu erreichen.
- Politische Dimension anerkennen: Befürworter der Openness müssen sich aktiv in potenziell politisch aufgeladene Diskussionen einbringen.
- Marktdominanz begrenzen: Kartellrecht stärken, Interoperabilität durchsetzen und Behavioral Tracking einschränken.
Ein Weckruf für die Open-Community
Das Paper ist ein wichtiger Weckruf für alle, die sich für digitale Offenheit einsetzen. Es zeigt auf, dass die rein technische Betrachtung von Openness nicht mehr ausreicht. In einer Welt, in der Technologie zunehmend gesellschaftliche Strukturen prägt, braucht es eine bewusste Auseinandersetzung mit Machtdynamiken, Zwecksetzung und unbeabsichtigten Folgen. Die Botschaft ist klar: Openness ist nach wie vor relevant und wichtig – aber nur dann, wenn sie aktiv gestaltet und mit einem klaren gesellschaftlichen Auftrag versehen wird. Die Zeit des naiven „mehr ist besser“ ist vorbei. Jetzt geht es darum, Openness strategisch und zweckorientiert einzusetzen.
Das vollständige Paper „Openness in a changing world: From Software to Society“ steht unter Creative Commons Lizenz zur Verfügung:

