Beyond AI & Copyright

von | 6. Juli 2025 | Blog, Open Knowledge

Das Whitepaper „Beyond AI & Copyright“  von Paul Keller (Open Future) liefert eine  Analyse der strukturellen Herausforderungen, die generative KI für demokratische Informationsökosysteme darstellt und analysiert präzise, wie KI-Systeme die Art und Weise transformieren, wie Gesellschaften Wissen produzieren, bewahren und darauf zugreifen – und warum wir dringend neue institutionelle Antworten benötigen.

Bei großen Sprachmodellen geht es nicht primär darum mit intelligenten Agenten zu tun haben, sondern mit einer neuen Form kultureller und sozialer Technologie. Diese Systeme fungieren als Vermittler für den Zugang zu Informationen – vergleichbar mit historischen Entwicklungen wie der Schrift, dem Buchdruck oder demokratischen Institutionen. Die Tragweite dieser Transformation wird deutlich, wenn man Yann LeCuns Vision ernst nimmt, dass „KI-Systeme das Reservoir allen menschlichen Wissens und aller Kultur darstellen werden“. Dies bedeutet eine potenzielle Verdrängung traditioneller Wissensinstitutionen wie Bibliotheken, Archive und Medienorganisationen – paradoxerweise gerade zu einem Zeitpunkt, an dem deren Rolle als Garanten für Provenienz, Kontext und Vertrauenswürdigkeit wichtiger denn je wird. Ein zentrales Argument des Papiers betrifft die demokratische Kontrolle über Informationszugang. Wenn eine kleine Anzahl kommerzieller Akteure die KI-Landschaft dominiert, entstehen neue Gatekeeper-Strukturen mit erheblichen epistemischen und politischen Risiken. Die Lösung liegt nicht allein in „Open Source“-Modellen, da diese strukturelle Limitierungen aufweisen – insbesondere beim Zugang zu den erforderlichen Recheninfrastrukturen.

Keller plädiert für öffentliche KI-Systeme, die analog zu öffentlich-rechtlichen Medien im 20. Jahrhundert entwickelt werden sollten: transparent governance-orientiert, im öffentlichen Interesse betrieben und demokratischen Werten verpflichtet. Diese institutionelle Innovation erfordert neue Governance-Modelle, die zwischen den bewährten Strukturen öffentlicher Rundfunkanstalten und digitalen Commons wie Wikipedia angesiedelt sind.

Das Papier entwickelt eine erweiterte Perspektive auf die ökonomischen Herausforderungen generativer KI. Während aktuelle Debatten sich meist auf urheberrechtlich geschützte Inhalte konzentrieren, übersieht diese Fokussierung die breite Palette von Akteuren, die zum Informationsökosystem beitragen: Kulturerbe-Institutionen, Open-Access-Projekte wie Wikipedia, wissenschaftliche Forschende, alltägliche Informationsproduzenten und öffentliche Einrichtungen. Diese Akteure haben ihre Inhalte oft ohne kommerzielle Absichten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – und werden nun systematisch von den ökonomischen Vorteilen der KI-Entwicklung ausgeschlossen. Gleichzeitig tragen sie die Kosten der massenhaften Datensammlung durch KI-Unternehmen, ohne Kompensation oder auch nur Anerkennung zu erhalten.

Als praktikable Alternative zu fragmentierten Lizenzierungsansätzen schlägt Keller ein Levy-System vor, das an der Markteinführung von KI-Diensten ansetzt.
Anbieter kommerzieller KI-Services würden eine Abgabe entrichten, deren Erlöse zwischen vier Kategorien verteilt werden:

  • Urheber und Rechteinhaber über bestehende Verwertungsgesellschaften
  • Öffentlich-rechtliche Medienorganisationen zur Unterstützung ihrer Betriebskosten
  • Open-Access-Anbieter, Digitalisierungsprojekte und Kulturerbe-Institutionen
  • Öffentliche KI-Modelle und -Services zur Schaffung nachhaltiger Finanzierungsstrukturen

Dieses System würde das Prinzip etablieren, dass kommerzielle KI-Services von öffentlich verfügbaren Informationen profitieren und entsprechend zur Aufrechterhaltung des Informationsökosystems beitragen sollten – unabhängig vom urheberrechtlichen Status einzelner Inhalte. Statt individueller Kompensationsmechanismen für Rechteinhaber fokussiert das Papier auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Güter und Infrastrukturen, die das gesamte Informationsökosystem tragen. Dies bedeutet eine fundamentale Abkehr von der Behandlung KI-bezogener Vergütung als rein urheberrechtliches Problem hin zu einer politischen Lösung für kollektive Herausforderungen. Die vorgeschlagene Lösung adressiert sowohl die Gefahr der digitalen Extraktion durch KI-Unternehmen als auch die Notwendigkeit, öffentliche Alternativen zu kommerziellen Systemen zu finanzieren. Es geht dabei um die nicht nachhaltige Aneignung des gesamten öffentlichen Informationsraums durch kommerzielle Akteure, ohne dass es entsprechende Rückflüsse gibt. Es entwickelt einen praktikablen Rahmen für redistributive Mechanismen, der über traditionelle urheberrechtliche Ansätze hinausgeht und die Nachhaltigkeit des gesamten Informationsökosystems in den Mittelpunkt stellt. Kellers Arbeit macht deutlich, dass wir bei der KI-Governance nicht die Fehler der Internet-Ära wiederholen dürfen, als wesentliche Infrastrukturen vollständig kommerziellen Akteuren überlassen wurden. Die kommende Überprüfung des EU-Urheberrechtsrahmens bietet eine zeitgemäße Gelegenheit, diese grundlegenden Fragen anzugehen und einen nachhaltigen Rahmen für das Informationszeitalter zu schaffen.
Das vollständige Whitepaper steht unter Creative Commons Attribution License zur Verfügung und wurde mit Unterstützung des European AI & Society Fund erstellt.

-> Download „Beyond AU and Copyright“ (PDF)