Commons als Konzept

Der Begriff der Gemeinschaftsgüter bezieht sich auf zwei zentrale Kategorien. Erstens auf endliche, materielle, natürliche Ressourcen wie Rohstoffe, Energieträger, Wasser, Wald u.v.m. und zweitens auf nicht fassbare, immaterielle, intellektuelle Ressourcen wie Wissen und Ideen – die codes der Informationsgesellschaft (Software) und die codes des Lebens; die Wissensallmende.

Historisch wurden vor allem die in tatsächlichem Gemeindebesitz befindlichen Gewässer, Wiesen und Wälder als Gemeinschaftsgüter, bzw. Allmende (All+Gemeinde) bezeichnet. Allmende gehörten auch in Deutschland bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zur Lebensrealität, doch mit den Gemeinheitsteilungsgesetzen ab Mitte des 19. Jahrhundersts verschwand allmählich auch der Begriff. Er gewann hundert Jahre später, unter anderem durch den berühmt gewordenen Aufsatz des Biologen Garrett Hardin von 1968 neue Relevanz. Hardin formulierte pointiert die These, dass der rationale Mensch einer gemeinschaftlich genutzten Ressource zum Zwecke persönlicher Gewinnmaximierung mehr entnehme als ihm anteilig zusteht und dies zwangsläufig zur Vernutzung der Ressource führte. Diese These verfestigte sich nicht nur diskursiv im vielzitierten Aufsatztitel der „Tragik der Allmende“, sondern wurde politisch funktionalisiert, um Privatisierungsstrategien durchzusetzen. Der Autor selbst gab in späteren Aufsätzen jenen KritikerInnen Recht, die darauf hinwiesen, dass Hardin nicht den geregelten Umgang mit Gemeinschaftsbesitz sondern den ungeregelten Zugang zu Niemandsland analysiert habe.

In der aktuellen Debatte rekurriert der Begriff nicht nur auf Gaben der Natur sondern auch auf von vorangegangenen Generationen erzeugte kulturelle Ressourcen und immaterielle Güter, sofern sie sich im Besitz von lokalen bzw. globalen Gemeinschaften befinden oder aus normativen Gründen in Kollektivbesitz gehalten werden sollten. So wie Gemeinschaftsland kein Niemandsland ist, sind Gemeinschaftsgüter -gleich welcher Kategorie- nicht „herrenlos“.

Commons sind überall

… egal ob lokal, regional oder global. Natürliche, soziale und kulturelle Ressourcen und Prozesse wie….Auen, Teiche, Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Algorithmen), Fotosynthese, Organe, Moore, Firmament, Wald, Wiesen, Weiden, Spektrum, DNA, Wasser (und Wasserkreislauf), Regen, Eis, Schnee, Elektrizität, Feuer, Stille, Heide, Kanäle, Artenvielfalt, Sinnsprüche, Wellen (Lichtwellen, Wellen des Meeres…), Land (-schaft), Meeresboden, Fischbestände, Energieträger, UV Strahlung, Stabilität des Klimas, kulturelle Vielfalt (Musik, Tänze, Sprache, Bräuche), Ozonschicht, städtische commons (Plätze, Parks, Gehsteige), Triften, Wikipedia, GPL/CC, Museen, Wissensbestände (Bibliotheken, Forschungsergebnisse/-pools, Datenbanken), Wissenschaft, Bräuche und Traditionen, Festivals, Marktplätze, Gemeinschaftsprojekte zum Leben & Arbeiten, Kunst, Bäder, Zeit?, Riffe, Märchen, soziale Netze und Räume u.v.m.

Zugangs-, Nutzungs- und Teilhaberechte an den Gemeinschaftsgütern werden weltweit nach selbst gesetzten und lokal angepassten Regeln kollektiv bestimmt. Diese Regeln müssen den Eigenschaften der jeweiligen Kategorie entsprechen. Während natürliche Ressourcen rivalisierend, das heißt in Konsum und Nutzung nicht teilbar sind, sind Wissensallmende – wie öffentliche Güter – nicht rivalisierend. Eine Software oder ein Rezept können beliebig oft und von beliebig vielen Menschen zugleich genutzt werden, sie werden dennoch nicht verbraucht. Diese Eigenheit unterläuft den traditionellen Allokationsmechanismus der Marktwirtschaft, der die Zuordnung knapper Ressourcen über den Preis steuert. Wissensallmenden sind aber nicht knapp.

Bei absolut oder relativ knappen Ressourcen implizieren die Zugangs- und Nutzungsregeln normalerweise starke Beschränkungen. Wissensgüter wiederum sind nur “nachhaltig”, wenn der Zugang zu ihnen prinzipiell offen gehalten wird. Verantwortungsvolles Gemeinschaftsgütermanagement zielt darauf ab, Effizienz, Stabilität und Widerstandsfähigkeit der jeweiligen Ressource zu sichern sowie Zugangs-, Nutzungs- und Verteilungsgerechtigkeit innerhalb der Mitglieder der Gemeinschaft zu gewähren. Prinzipien wie Freiheit und Verantwortung, Reziprozität und Kooperation sind dafür grundlegend.

Gemeinschaftsgüter müssen im Sinne intergenerationeller Gerechtigkeit immer wieder an die Gesellschaft zurückfallen, was ihren Erhalt voraussetzt. Doch nach wie vor werden sie massiv übernutzt oder privatisiert (Klimawandel, Überfischung der Ozeane, Privatisierung von Wasser, Patentierung von Softwarecode, lebenden Organismen oder Gensequenzen). Die Debatte rückt daher in den Mittelpunkt, dass Gemeinschaftsgüter entweder per sé nicht privateigentumsfähig sind (Ideen, Kultur, die Stille, das Sonnenlicht) oder dass sie ihren gesellschaftlichen Nutzen nur dann entfalten, wenn sie von der Gesellschaft, nicht notwendigerweise vom Staat, kontrolliert und bewirtschaftet werden. Einen Königsweg gibt es nicht, doch als Grundsatz lässt sich formulieren, dass Gemeinschaftsgütermanagement immer als treuhänderische Verwaltung zu verstehen ist. Unabhängig davon wer als Treuhänder agiert – die BürgerInnen/Gemeinde direkt oder indirekt über einen funktionierendes demokratisches Staatswesen oder zeitweilig ein privates Unternehmen -, die entscheidende Frage ist, ob die implementierten Regeln und Prinzipien absichern, dass die Verfügungshoheit dieser und künftiger Generationen über ihr kollektives Erbe erhalten bleibt.

Auf zur Wissens- und Datenallmende

Die derzeitige Neuentfaltung des Begriffs geschieht im Kontext des Übergangs zur Wissensgesellschaft. Seit mehr als einem Jahrzehnt gewinnen die Auseinandersetzungen um Wissensallmende in den Kämpfen um Patentrechte, um die allgemeine Verfügbarkeit von Algorithmen und Codes, um freie Bildung und Kultur an Wirkungsmacht. In Anlehnung an die Einhegung (enclosure) der Allmendwiesen und -weiden im England des 18. Jhd. beschreibt der Jurist James Boyle die private Aneignung der Wissensgüter des 20. Jhd. als second enclosure of the commons. Dieser Prozess greift auf immer neue gesellschaftliche Sphären über und aktiviert zahlreiche politische Konflikte. Er findet auf technologischer (DRM, Terminator Technologie, Synthetische Biologie u.a.), juristischer (TRIPS, nationale Gesetzesnormen zu Patentrecht und Copyright), politischer (assymetrische Verhandlungsprozesse – national, regional, international – im Rahmen von Handels-, Kooperationsabkommen und internationalen Verträgen) und (sozio-)ökonomischer Ebene (Megainfrastrukturprojekte und ihre Folgen für schwache Bevölkerungsgruppen, de facto Durchsetzung der Interessen wirtschaftlich besser situierter Gruppen, Korruption) statt.

Der Ansatz vermag vier zentrale Themen zu verknüpfen: Demokratie, Gerechtigkeit, Ressourcenschutz und die Entwicklung von Steuerungsmodellen in einer wissens- und informationsbasierten Wirtschaft. Gemeinschaftsgüterbezogen denken meint, das Wissen um die informationellen Grundlagen der gegenwärtigen Epochenwende mit klassischen ökologischen und Gerechtigkeitsvorstellungen zusammenzubringen, mithin Gene, Bytes und Emissionen interdisziplinär zu diskutieren. Das Fehlen eines ähnlich durchsetzungsstarken Begriffs, wie der der Nachhaltigkeit in der klassischen Umweltdebatte eröffnet dabei Raum für die Konsolidierung der Gemeinschaftsgüteridee. Jenseits der Polarisierung zwischen Markt und Staat rückt diese die Gesellschaft – die Gemeinschaft der BürgerInnen – in die zentrale, treuhänderische Verantwortung für zukunfts- und wissensgesellschaftsfähiges Handeln.

Gemeinschaftsgüter sind Langfristvoraussetzung für Produktion und Reproduktion und werden mit Blick auf die Sicherung des Gemeinwohls und des sozialen Kitts, der auch den Wohlfahrtsstaaten abhanden kommt, zunehmend als solche identifiziert. Ob emanzipatorische Politik gelingen kann, hängt zentral davon ab, ob commons -und mit ihnen die gemeinschaftlichen/ gesellschaftlichen Strutkuren- für alle Menschen erhalten und zugänglich bleiben. Businessmodelle, Entwicklungsprojekte und politische Steuerungsmechanismen werden deshalb künftig auf ihre Gemeinschaftsgüterverträglichkeit abzuklopfen sein.